Gott ist im Schläfenlappen
Gott sitzt im Schläfenlappen, das ist zumindest die aktuelle Erkenntnis der Hirnforschung. Während das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Geist in der Vergangenheit ein grosses mystifiziertes Rätsel war, kommen die Gehirnforscher diesem Geheimnis mittels moderner bildgebender Verfahren immer mehr auf die Spur. Es gelang Benjamin Libet nachzuweisen, dass vor jeder bewussten Entscheidung eine Neuronenaktivität im Gehirn stattfindet, dass also jede bewusste Entscheidung das Resultat von chemisch-/ elektrischen Vorgängen im Hirn ist. Die Materie steuert den Geist, nicht umgekehrt. Nun kommen weiterführende Untersuchungen im Bereich der religiösen Erfahrung hinzu. Nach diesen Untersuchungen verfügt jeder Mensch über ein mehr oder weniger ausgeprägtes Modul im Bereich des Schläfenlappens, welches seinem Besitzer spirituelle Erlebnisse vermitteln kann, ein Gottmodul. Durch gezielte Manipulation des Schläfenlappens mit elektrischen Feldern kann man religiöse Erlebnisse künstlich hervorrufen. Selbst Atheisten, offenbar Personen mit wenig ausgeprägtem Gottmodul, können so zu echten spirituelle Erlebnissen kommen. Die Zeitschrift «Weltwoche» bezeichnet den Apparat zur künstlichen Erzeugung von Gotteserlebnissen in Anlehnung an Apples Erfolgsprodukt iPod zynisch als iGod, sozusagen den persönlichen Gott für unterwegs.
Wenn also Gläubige einer Religion zusammentreffen, um gemeinsam ihren Götter zu huldigen, sich mit Singsang in Trance versetzen und in Hallelujas ausbrechen, wenn Gläubige sich durch Gebet und andere Meditationsformen von der Wirklichkeit entdrücken lassen, so tun sie neurologisch gesehen nichts anderes, als ihren Schläfenlappen zu stimulieren. Wenn aber das spirituell-religiöse Erlebnis nachweislich eine von aussen manipulierbare körperliche Aktivität ist, welchen Wert haben dann noch Religionen?
Warum entwickelt der Mensch Religion
Seit Anbeginn der Evolution zum modernen Menschen war es immer wieder
notwendig und von grosser Wichtigkeit, von unvollständiger Information
ausgehend Zusammenhänge zu erkennen und gesamtheitliche Theorien zu
interpolieren. Dies ist nicht nur die Voraussetzung moderner
Wissenschaft, diese Fähigkeit ermöglichte es dem Menschen seit der
Steinzeit sich von der restlichen Tierwelt durch eine gezielte Planung
der Zukunft abzuheben. Wenn der Mensch nun eine Hirnregion hat, die
ihm transzendente Erlebnisse ermöglicht, er aber andererseits über
rationales Denken verfügt, so werden sich diese beiden Einheiten bei
der Erstellung von ganzheitlichen Theorien immer gegenseitig
konkurrenzieren. Warum aber haben sich übernatürliche Erklärungen
weltweit so erfolgreich und so lange Zeit durchgesetzt, wenn es darum
ging, unerklärbares zu erklären? Wie ist es evolutionsbiologisch zu
erklären, dass sich ein Hirnareal behaupten kann, welches falsche
Resultate produziert? Offenbar sind die religiösen Annahmen zwar
vollkommen falsch, waren aber in ihrer Mehrheit für das Überleben
genau genug. Zum anderen hat Religion in primitiven Gesellschaften
durchaus auch positive Auswirkungen: Sie schweisst eine Gruppe von
Steinzeitjägern dank gemeinsamer erhabener Erlebnisse mit ihrem
Schamanen zusammen. Religionen machen eine Gemeinschaft auch einfacher
beherrschbar, da klare Rangordnungen als von einer höheren Macht
bestimmt erklärt werden können. Zudem ist es nicht selten so, dass
Menschen mit starkem Glauben Leid besser ertragen können. All diese
Vorteile habe wohl zur Verbreitung des Gottmoduls in der menschlichen
Evolution beigetragen. Andererseits hat der Mensch erst seit wenigen
hundert Jahren angefangen, durch erhöhte Rationalität Wissenschaft und
Technik voranzutreiben. Dies ist zwar unglaublich erfolgreich, geschah
aber in einem zu kurzen Zeitraum, um auf die Evolution des Menschen
einen grossen Einfluss zu haben, und beispielsweise das Gottmodul zu
eliminieren. Es wird spannend zu beobachten sein, ob das Gottmodul in
den nächsten paar tausend Jahren merklich schwinden wird.
Christliche Schlussfolgerungen
Das Vorhandensein eines Gottmoduls im Gehirn ist eine unbestreitbare Tatsache, die man feststellt, aber die so direkt noch keine Aussage über Religion an sich macht. Doch was sind nun die Schlussfolgerungen dieses Gottmoduls auf die Religionen? Ein Gläubiger wird kaum einfach so zugeben wollen, dass er einem Hirngespinst aufgesessen ist. Daher unterscheiden sich die Folgerungen eines Gläubigen und eines Atheisten.
Ein Christ wird vermutlich argumentieren, dass das Gottmodul von Gott in unser Hirn eingepflanzt worden sei, damit wir ihn, also Gott, als unseren Schöpfer erkennen können. Für den Christen mag das Vorhandensein eines Gottmoduls gar als Gottesbeweis gelten.
Der Fehler in dieser Überlegung ist, dass das religiöse Erlebnis, von der Tradition, Kultur und Lebenserfahrung der Person abhängig ist, die das Erlebnis hat. Niemand erkennt einfach so den jüdisch-christlichen Schöpfergott, dieser ist Resultat von Überlieferung, Erziehung und Tradition. Es ist nicht einmal so, dass man unbedingt einen Gott erleben muss. Ein Mensch mit animistischem Hintergrund wird wohl Geister sehen, und nicht einen Gott. Gäbe es aber einen solchen Schöpfergott, und hätte er uns ein solches Gottmodul verpasst, so hätte er sicherlich dafür gesorgt, dass die Menschen dadurch nicht irgendein religiöses Erlebnis hätten, sondern ihn persönlich unzweideutig erkennen würden. Daher ist das Vorhandensein eines solchen unspezifischen Gottmoduls vielmehr eine Widerlegung für die semitische Schöpfergotthypothese.
Atheistische Schlussfolgerungen
Viel logischer ist die Schlussfolgerung, dass es eben keine übernatürliche Welt gibt, die Menschen hingegen durch das Religionsmodul zu einer ebensolchen Erklärung tendieren. Religionen sind somit nicht einfach nur eine Erfindung der Menschen, sondern direkt das Produkt ihres Schläfenlappens.
Weiterführende Literatur
Diskussion
Diskutiere den Inhalt dieser Seite unter:
Gott ist im Schläfenlappen
Kommentare zu diesem Beitrag
- 15.09.2006 23:44 - anonymous
- 16.09.2006 01:34 - anonymous
- 16.09.2006 17:57 - mrw
- 16.09.2006 19:47 - anonymous
- 25.09.2006 10:16 - mrw
- 25.09.2006 12:12 - mrw
- 27.09.2006 01:19 - anonymous
- 01.10.2006 11:48 - mrw
- 01.10.2006 13:29 - anonymous
- 01.10.2006 17:10 - mrw
- 01.10.2006 21:19 - Anonymus
- 01.10.2006 21:33 - Anonymus
- 01.10.2006 21:51 - Anonymus
- 03.10.2006 09:35 - mrw
- 03.10.2006 15:06 - Anonymus
- 03.10.2006 15:28 - Anonymus
- 03.10.2006 16:24 - Anonymus
- 03.10.2006 16:31 - Anonymus
- 05.10.2006 19:55 - mrw
- 06.10.2006 00:07 - Anonymus
- 06.10.2006 00:58 - Anonymus
- 21.11.2006 12:01 - mrw